Free Deniz!

Mahnwache in Flörsheim

von Ursula Wöll

Seit Februar wird der Journalist Deniz Yücel in einem türkischen Gefängnis in Einzelhaft festgehalten, und seitdem gibt es in Flörsheim die monatlichen Mahnwachen  für seine Freilassung. In diesem reizenden Ort am Main wuchs Deniz auf, und hier lebt auch noch seine Schwester. An der letzten Mahnwache am 15. August beteiligten sich gut 60 Leute, unter ihnen Bürgermeister Michael Antenbrink. Die nächste Mahnwache findet am Donnerstag, dem 14. September um 18 Uhr vor der Stadthalle statt. Dann wird auch die Büchner-Bühne aus Riedstadt mit ihrem Programm „Meinungsfreiheit gestern und heute“ dabei sein.

Unfreiheit wie zu Büchners Zeiten

Deniz Yücel hat einen deutschen und einen türkischen Pass. Er arbeitet als Korrespondent für die Tageszeitung DIE WELT. Der Autokrat Erdogan wirft ihm Anstiftung zum Terrorismus vor, bezeichnete ihn gar als einen deutschen Spion und steckte ihn in das Hochsicherheitsgefängnis in Silivri, 70 Kilometer westlich von Istanbul auf dem europäischen Zipfel. Diese Haftanstalt wurde 2008 in Betrieb genommen und ist mit ihren 10000 Haftplätzen die größte Europas. Dort hält sich der Gefangene offenbar recht tapfer. Am 22. August besuchte ihn unser Botschafter Martin Erdmann, der eine Stunde mit ihm reden durfte und bekanntgab, dass es dem Gefangenen „den Umständen entsprechend gut geht“. Das ist auch schon der einzige Unterschied zur Zeit von Georg Büchner. Damals erging es Weidig im Gefängnis Darmstadt übelst, er kam darin um, man sagt durch Selbstmord. Die Unfreiheit, eine kritische Meinung zu äußern, ist jedoch im damaligen Absolutismus und in der heutigen Türkei die gleiche. So ist zu erwarten, dass die Büchner-Bühne diesen historischen Vergleich ziehen wird, wenn sie sich aktiv am 14. September an der Mahnwache beteiligt.

Aber auch bei „korrekter“ Behandlung ist ein halbes Jahr Einzelhaft etwas Furchtbares, das man sich in Freiheit gar nicht so richtig vorstellen kann. Wenn ich nach Lust und Laune aus der Haustür trete, die Vögel singen höre und das Leben vor meinen Augen abläuft, so denke ich oft an Deniz, der völlig fremdbestimmt wird und nur die Zelle sieht. 24 Stunden am Tag, Tag für Tag. Besuche darf er kaum „empfangen“,  Post ist nur in türkischer Sprache erlaubt. Sein Anwalt hat für ihn bereits im April Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Dieser hat die türkische Regierung aufgefordert, in einer Stellungnahme die Verhaftung überhaupt einmal zu begründen. Dafür hat sie bis zum 23. Oktober Zeit, erst danach wird der EGMR urteilen können. Es kann also noch dauern, das Trauerspiel am Bosporus. Dabei ist alles so klar: Freie Meinungsäußerung ist ein Grundpfeiler jeder Demokratie. Deniz Yücel ist einer von 200 Journalisten hinter türkischen Gittern und „eingesperrt, weil er seinen Beruf ausgeübt hat“, so Bürgermeister Antenbrink in seiner Rede am 15. August. Nach ‚Reporter ohne Grenzen‘ steht die Türkei auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 155 von 180 Ländern weltweit.

Neun Deutsche hinter türkischen Gittern

Deniz Yücel ist auch nicht der einzige deutsche Staatsbürger hinter türkischen Gittern. Es sollen zur Zeit neun sein, am bekanntesten unter ihnen der auf einem amnesty-Seminar verhaftete Menschenrechtler Peter Steudtner und die Übersetzerin Mesale Tolu mit ihrem zweijährigen Sohn. (Die verhafteten hunderttausend türkischen Staatsbürger lasse ich hier einmal außer Betracht.) Unsere Bundesregierung protestiert zwar eifrig, es sind aber bisher doch eher Worte ohne praktische Folgen. Man will wohl „die Tür nicht voreilig zuschlagen“ und hat etwa die Beitrittsverhandlungen zur EU nicht einmal in aller Form gestoppt. Man überlegt auch, die europäischen Konten des Erdogan-Clans zu sperren, hat dies aber bisher nicht getan.

So verrinnt die Zeit, die für den 43jährigen Deniz Yücel auch Lebenszeit ist. Dieser Skandal muss öffentlich bleiben, und deshalb sind die monatlichen Mahnwachen in Flörsheim so wichtig.

Mahnwache am Donnerstag, 14. September, 18 Uhr, vor der Stadthalle in Flörsheim/Main.

Adresse, an die Post in türkischer Sprache geschickt werden kann: Deniz Yücel, 9 Nolu Kafali Ceza  Infaz Kurumu B Bloc 54 Nolu Kogus, Silivri, Türkiye.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert