Eat-Art

Kochen als Teil der Kunst

Von Elfriede Maresch

Der Gießener Künstler Rolf Baltromejus hat Bildhauerei und Performance in London und Berlin studiert und arbeitet in einer Wetzlarer Galerie. Doch seine kreative Tätigkeit geht über Präsentieren und Gestalten weit hinaus. Baltromejus arbeitet auch mit Früchten, Gemüsen, Kräuter, Gewürzen – er praktiziert Eat-Art, verbindet Kultur und Küche, hat ein erfolgreiches Konzept fein abgestimmter Perfomance Dinners entwickelt. Er kocht und serviert an „essfremden“ Orten, bei Lesungen, in seiner kleinen Gießener Galerie, im Oberhessischen Museum Gießen.

Gestalten mit Gemüse und Gewürzen

Die Grundthese „Kochen ist ein Teil der Bildenden Kunst“ entwickelte mit neuen Gerichten und Präsentationsformen der Schweizer Künstler Daniel Spoerri in den 1970-er Jahren. Andere folgten diesem Konzept. Baltromejus selbst fühlt sich besonders vom amerikanischen Architekten und Konzeptkünstler Gordon Matta-Clark inspiriert, der bei Kunstevents gemeinsam mit seinen Freunden kochte. Ebenso fasziniert ihn der thailändischen Künstler Rirkit Tiravanija, der in Speisen seiner Heimat in einem Caravan zubereitete und sie dann in Galerien und Museen servierte.


Eat-Art als Verbindung von Kultur und Küche praktiziert der Gießener Künstler Rolf Baltromejus. (Fotos: Maresch)

Seit sechs Jahren lädt Baltromejus zu eigene Performance Dinners, oft in Zusammenhang mit Ausstellungseröffnungen des Oberhessischen Museums, wo dann im Netanya-Saal das Performance Dinner folgt. Der Künstler berichtet: „Das erste Eat-Art-Dinner wurde als museumspädagogisches Begleitprogramm zur Ausstellung Manna von Rosa Loy angeboten. Die nächsten folgten bei Pop Art, Lori Hersberger, David Lynch, Picasso, Heinz Mack, Frida Kahlo, Jeff Koons, Horst Antes, Katharina Fritsch und andere mehr. Auch die Kombination von Lesungen und Performance Dinners hat sich als inspirierende Verknüpfung von Betrachten, Hören, Essen bewährt.“

Kulinarische Homage mit kaltem Fisch

Wie nimmt nun Baltromejus die künstlerischen Themen kulinarisch auf? Im Oberhessischen Museum Gießen wurde unter dem Titel „Kunst und Leben“ die Stiftung des Gießener jüdischen Fabrikanten Gustav Bocks mit rund 80 Bildern und Zeichnungen präsentiert. Er hatte mit viel Sachverstand Werke von Künstlern der Berliner und Wiener Secession um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zusammengetragen und sie 1915 seiner Heimatstadt Gießen geschenkt. Der Kunsthistoriker Dr. Andreas Ay als Kurator und Baltromejus als Eat-Art-Praktiker waren sich einig. Der Wert der Sammlung mit Werken Corinths, Leistikows, Liebermanns, Lenbachs sollte herausgestellt und mit einer kulinarischen Hommage an Gustav Bock verbunden sein. Baltromejus wählte ein Rezept aus der jüdisch-aschkenasischen Küche, servierte kalten Fisch mit einer Pinienkern-Sauce und einer überraschenden Beilage: unreife Holunderbeeren, erst gesalzen, dann sauer eingelegt, ein wenig an Kapern erinnernd, aber feiner im Geschmack.


Ein „Eart-Art-Gruß aus der Küche“ zu Paul Austers Geschichte „Weihnachten in Brooklyn“: Pastrami auf selbst gebackenen Brötchen, ein in den USA beliebter Snack

Auch Lesungen setzen seine Fantasie in Gang. Einmal wählte seine Künstlerkolleginund Freundin Birgit Schmidges eine Kurzgeschichte des amerikanischen Autors Paul Auster mit dem Titel „Weihnachtsabend in Brooklyn“. Als „Gruß aus der Küche“ servierte Baltromejus einen beliebten amerikanischen Snack: Pastrami, gepökelte Rinderbrust, in selbstgebackenen kleinen Brötchen. Später gab es Burger und einen speziellen Kartoffelsalat mit Orangen, einer typischen Frucht der Weihnachtszeit.

Baltromejus hat sich inzwischen ein Stammpublikum aufgebaut. Eat-Art ist von der Qualität der Zutaten und von der Zubereitungszeit her anspruchsvoll und auch preislich nicht mit Fast Food zu verwechseln. So kommen Leute, die gleichermaßen an künstlerischer und kulinarischer Qualität interessiert sind und sich das leisten können: Ärzte, Anwälte, Lehrer, Architekten, schwerpunktmäßig in der Altersklasse 50 plus, selbst zwei über 80-jährige Damen sind dabei. Das heißt nicht, dass Eat-Art in elitärer Atmosphäre zelebriert wird. Baltromejus: „Meine Gäste sind überraschend unkomplizierte, genussfähige Leute!“

Vegane Küche, Low-Carb, Paläo-Ernährung, Kohlsuppendiät und andere alternative Ernährungskonzepte sieht der „passionierter Allesesser“ Rolf Baltromejus eher distanziert: „Meinen Fleischkonsum habe ich ein wenig reduziert. Gute Zutaten, sorgfältige Zubereitungen sind mir wichtiger als exotische Ansätze. Ich kritisiere etwas anderes scharf: die extremen Mengen von Essen, die bei uns in den Müll wandern. Das versuche ich selbst unbedingt zu vermeiden, lade lieber Freunde zu den Resten der Performance Dinners ein. Hierzulande haben wir das Glück, jeden Tag in guter Qualität und genügender Menge essen zu können. Das sollte man wertschätzen!“

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