25 Jahre Direktwahl

Das Interesse in Hessen schwindet

Die direkte Wahl der Bürgermeister und Landräte  ist in Hessen vor 25 Jahren eingeführt worden. Kritiker warnten damals, Konflikte zwischen den vom Volk gewählten Kommunalparlamenten und den nun auch vom Volk auserwählten Verwaltungschefs in den Rat- und Kreishäusern seien programmiert. Sie haben Recht behalten. Es hat reichliche Scharmützel und lange Grabenkämpfe zwischen direkt gewählten Verwaltungschefs und den Parlamenten gegeben. Und immer weniger Wahlberechtigte gehen an die Urnen. .

Ein schwarz-gelber Coup

Seit der Hessischen Verfassung von 1946 waren die Bürgermeister und Landräte von den jeweiligen Parlamenten gewählt worden. Das funktionierte eigentlich nicht schlecht, aber die  ab 1987 Hessen regierende Koalition aus CDU und FDP kam auf die Idee, die hauptamtlichen Wahlbeamten in den Kommunen direkt vom Volk bestimmen zu lassen. Warum?  Der Hessische Verwaltungsrechtexperte Friedhelm Foerstemann sah einen Zusammenhang mit den politischen Umwälzungen in Osteuropa und der Einheit Deutschlands, den beherrschenden Themen im Frühsommer 1990. „Die Wahl des ersten Parlamentes eines vereinigten Deutschland sollte im Oktober oder Dezember stattfinden. Damit bestand die Gefahr, dass im Vorfeld der für den 20. Januar 1991 terminierten Landtagswahl in Hessen landespolitische Themen von der Vereinigung Deutschlands und dem Bundestagswahlkampf völlig ins Abseits der Wahrnehmung gedrängt würden. Hessens damaligen Ministerpräsidenten Walter Wallmann gelang noch vor der Sommerpause der überraschende Befreiungsschlag: In die Hessische Verfassung sollte die Direktwahl der Bürgermeister und Landräte aufgenommen werden“, schrieb Foerstemann in seinem Aufsatz im Jahr 1990 „Direktwahl der Bürgermeister in Hessen“.

Das Volks votiert für die Direktwahl

Der Coup nutzte Wallmann nichts. Seine Koalition verlor bei der Wahl 1991 die Mehrheit. Die Direktwahl der Rathauschefs kam trotzdem, weil die SPD trotz großer Skepsis schließlich zustimmte, um nicht als bürgerfeindlich dazustehen. Der Artikel 138 der Hessischen Verfassung musste geändert werden, dafür war eine Volksabstimmung nötig. Am 20. Januar 1991 votierten die Wahlberechtigten Hessen 75,16 Prozent für die Direktwahl, die im Jahr darauf schließlich eingeführt wurde.

Die direkt gewählten Verwaltungschefs beklagten rasch ihre schwache Stellung gegenüber den Parlamenten . Es wurde nachgebessert. Die Bürgermeister und Landräte bekamen mehr Rechte. Aber die wichtigen Entscheidungen fallen nach wie vor in den Parlamenten und die Bürgermeister sind in das Kollegialorgan Gemeindevorstand eingebunden. Die direkt gewählten Verwaltungschefs können den Parlamenten aber das Leben schwer machen – und umgekehrt.

In Ober-Mörlen im Wetteraukreis ignorierte die Bürgermeisterin Erika Schäfer (SPD) hartnäckig die Entscheidungen des Parlamentes. Das griff zu seinem letzten Mittel: das Abwahlverfahren. Das muss vom Parlament mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Die kam zustande, weil inzwischen auch einige SPD-Gemeindevertreter der Bürgermeisterin den Rücken gekehrt hatten. Die eigentliche Abwahl erfolgte dann durch die Bürger in einem dem Bürgerentscheid ähnlichen Verfahren.

Immer geringere Wahlbeteiligung

Seither ist es immer wieder zu Scharmützeln und auch langen Grabenkämpfen zwischen direkt gewählten Verwaltungschefs und Parlamenten gekommen. Zuletzt wieder in der Wetterau: der parteilose Bürgermeister von Hirzenhain Freddy Kammer wurde abgewählt. Rathauschef und  Parlament hatten fleißig das Verwaltungsgericht beschäftigt – und beschäftigen es immer noch: Kammer klagt gegen seine Abwahl.

Beim Wahlvolk hat das Interesse an der direkten Wahl der Verwaltungschefs stark nachgelassen. In Bad Nauheim zum Beispiel gingen im Mai dieses Jahres nur 41,6 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen. In der Kurstadt war das Interesse an der Direktwahl von Anfang an nicht hoch. Bei der ersten am 9. Mai 1993 betrug die Wahlbeteiligung 50,6 Prozent. In Hirzenhain waren es immerhin  75 Prozent der Wahlberechtigten, sich bei der ersten Direktwahl am 8. September 1996 auf den Weg in den Wahllokale machten. Bei der Wahl  am 8. Oktober dieses Jahres lag die Wahlbeteiligung trotz – oder wegen? –  all der Grabenkämpfe bei 57,7 Prozent. In Butzbach gingen bei der vergangenen Bürgermeisterwahl 45,5 Prozent der Wahlberechtigten wählen, in Gedern waren es im Juli 2015 49,1 Prozent und in Nidda waren es im September 2015 40,1 Prozent (der Amtierende Rathauschef trat konkurrenzlos an) .

Die Verfassungsänderung von 1992 hat den Hessen zwei Wahlen mehr (ihren Bürgermeister und ihren Landrat) beschert, aber nicht mehr Mitsprache in Sachfragen. Die bloße Einführung einer Direktwahl des Bürgermeisters alleine bringe den Bürgern keine größeren Mitwirkungsmöglichkeiten. „Der Ausbau des Bürgerbegehrens und die Einrichtung eines Bürgerentscheides wären sehr viel eher geeignet, wirkliche Mitentscheidungsmöglichkeiten für die Bürger zu installieren“,  hatte Foerstemann 1990 festgestellt. 1993 wurden Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in die Hessische Gemeindeordnung aufgenommen. Sie sind in Städten und Gemeinden möglich, es müssen allerdings hohe Hürden überwunden werden: Für das Bürgerbegehren, das ist quasi der Antrag auf einen Bürgerentscheid, müssen zehn Prozent der Wahlberechtigten Stimmen, im Bürgerentscheid müssen 15 bis 25 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen. In den Hessischen Landkreisen gibt es diese Form der direkten Demokratie – anders als in den meisten anderen Bundesländern – noch immer nicht.

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